Impulse für unser Leben

Impuls "Friede sei mit euch!"

Hier auch zum Download

Die Zusage des Auferstandenen: „Friede sei mit euch!“

„Friede sei mit euch!“ - das ist das Erste, was Jesus Christus seinen Jüngern wünscht, als er als Auferstandener wieder zu ihnen kommt (Joh 20, 19.21.26). Das ist kein Zufall - denn Frieden ist ein zentrales Lebensthema. Und wie wichtig es ist, das kommt in der Corona-Zeit besonders gut heraus, in der ja alle existenziellen Fragen hochgespült werden und alles, was wirklich lebensnotwendig ist, in seiner Bedeutung aufleuchtet. Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts.

Das Thema „Frieden“ hat verschiedene Dimensionen:

•    Weltfrieden, Frieden zwischen zwei Völkern
•    sozialer Frieden in der Gesellschaft
•    Frieden zwischen verschiedenartigen Gruppierungen
•    Frieden in der Familie, im Verein, am Arbeitsplatz
•    Frieden zwischen mir und den Mitmenschen

•    der innere Friede (in mir selbst)
•    zufrieden sein

•    Friede zwischen Mensch und Schöpfung (statt Ausbeutung und Zerstörung)

Dabei ist Frieden kein Zustand, sondern etwas sehr Dynamisches, ein Weg, ein Prozess - etwas, das je neu der Aufmerksamkeit und des (gemeinsamen) Einsatzes bedarf.

Das gilt in Corona-Zeiten umso mehr. Denn die Pandemie gefährdet den Frieden auf den verschiedenen Ebenen zusätzlich. Viele ärmere Länder werden jetzt noch ärmer, weil sie wirtschaftlich niedergehen, weil noch mehr Menschen ihr Leben unterhalb des Existenzminimums fristen müssen und sich nicht vor dem Virus schützen können - und diese Verzweiflung kann dem Weltfrieden auf verschiedene Weise zusetzen. In unserer Gesellschaft verstärkt Corona so manche Spaltungen und Konflikte, die es vorher schon gab. Und auch der eigene innere Frieden ist bei vielen „angekratzt“, weil das Leben unter den Corona-Einschränkungen und mit den absehbaren Folgen der Pandemie ihnen seelisch zusetzt. Kein Wunder, wenn z.B. manche junge Menschen ihre guten Zukunftsaussichten schwinden sehen.
Da tut besonders gut, dass Ostern den Frieden in den Blick rückt - als das, was der auferstandene Jesus Christus als Allererstes den Seinen gibt. Dieser Friede ist eine Frucht der Auferstehung. Angekündigt hat ihn Jesus schon früher, bei seinen Abschiedsreden an die Jünger: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27). Weil dieses Geschenk Jesu so wichtig für uns ist, wird es uns in jeder Messfeier von neuem zugesagt - beim Friedensgruß, der in der Messe einen zentralen Platz hat, zwischen der Wandlung und dem Kommunionempfang. Dort werden diese Worte Jesu zitiert und uns in unsere aktuelle Situation hinein zugesprochen.

Auffällig dabei ist der Teilsatz: „nicht, wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch“. Was macht da den Unterschied aus? Was ist das Spezielle, das „Plus“, das den Frieden auszeichnet, den Jesus Christus bringt?

Er sagt ja ausdrücklich: „Meinen Frieden gebe ich euch“. Dieser Frieden ist also „sein“; er hängt mit ihm zusammen und geht von ihm aus. Im Alten Testament ist einer der Namen für den erhofften Retter-Messias „Friedefürst“. Und in den Briefen des Neuen Testaments ist die Glaubenserfahrung der frühen Christen festgehalten: „ER ist unser Friede“ (Eph 2, 14). Das bedeutet genau genommen: ER, Jesus Christus selbst als Person IST dieser Friede. Und das wiederum hat zur Folge: Je mehr jemand in der inneren Verbindung mit Jesus Christus und daraus lebt, desto mehr lebt er in und aus diesem Frieden, den Jesus ihm schenkt. Wer - wie z.B. der Apostel Paulus sagt - „in Jesus lebt“, der lebt „im Frieden“. Der Glaube, das Sich-hineinvertiefen in Jesus Christus, schenkt inneren Frieden. Und wer diesen inneren Frieden in sich spürt und davon erfüllt ist, der kann dann als „friedvoller Mensch“ auch in seinem täglichen Leben jemand sein, von dem Friede ausgeht - indem er einfach von ihm  ausstrahlt und in seinem Denken und Handeln wirksam wird. 

So schenkt Jesus Christus, der als Auferstandener uns nahe ist und uns mit seinem Geist beflügelt, inneren Frieden - und der ist die Quelle dafür, dass der Friede im Leben Kreise ziehen kann, dass das Reich Gottes als Reich des Friedens um uns herum weiterwachsen kann.

Uns so von seinem Frieden erfüllen zu lassen und ihn weiter zu verbreiten - das ist Geschenk und Auftrag, „Gabe und Aufgabe“ für uns als Christen. Der Friede ist nicht etwas, das man für sich hat und womit man es sich gut gehen lassen kann. Schon in der ersten Osterbegegnung der Jünger mit dem Auferstandenen wird das klar: „ Jesus sagte noch einmal zu ihnen: ‚Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch‘ (Joh 20, 21).“ Frieden ist die Sendung Jesu in der Welt und für sie, und Friede ist als seine Gabe an uns unsere Sendung in unserem alltäglichen Leben.

Das gelingt umso leichter und wirksamer, je mehr jede und jeder von uns von innerem Frieden erfüllt ist. Und die Quelle dafür ist, dass sie oder er sich von Jesus Christus als unserem Frieden erfüllen lässt.

Dass Sie das erfahren und auf diesem Weg des Friedens weitergeführt werden, das wünsche ich Ihnen

mit einem herzlichen Gruß

Ihr
Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos
 

Impulse für den Weg zum "Leben in Fülle" (Joh 10,10)

Hier auch zum Download

„… dass Du für mich betest.“

Auch wenn ich für jemanden bete, stehe ich dem anderen bei.

„Lieber Christoph, es bedeutet mir so viel, dass du für mich betest. Vielen Dank!“ Das hat mir eine Bekannte vor zwei Wochen geschrieben. Ich bete für sie, weil es ihr nicht so gut geht. Genauso wie für einen Bekannten, der privat und beruflich vor neuen Herausforderungen steht. Und ich bete für einen unserer Chorsänger, dessen Ehefrau gestorben ist und der darüber auch nach einem Jahr nicht hinwegkommt. Und für einen krebskranken Freund. In meiner Gebetsecke liegen einige Zettel mit Namen darauf. Jeden Morgen nehme ich sie in den Blick und bete für diese Menschen. Auch wenn ich im Gespräch die Sorgen oder das Leid eines Mitmenschen mitbekomme, biete ich oft ausdrücklich an, dass ich für ihn bete - das hat noch nie jemand abgelehnt, im Gegenteil.

Es tut immer gut, wenn Menschen aneinander denken. Erst recht dann, wenn es jemandem nicht gut geht - dann ist es hilfreich zu wissen, dass der andere mir innerlich nahe ist, dass er mir „einen guten Gedanken schickt“ - wie manche sagen.

Das geschieht auch bei einem Fürbitt-Gebet. Aber da geht es noch einen Schritt weiter. Wenn ich für jemanden bete, dann ist das eine ganz starke innere Verbindung von Mensch zu Mensch - weil diese Verbindung über Gott führt. Darin kommt zum Ausdruck: Dieser Mensch liegt mir am Herzen. Ich sehe seine Freuden und seine Sehnsucht, seine Sorgen und seine Not. Dabei habe ich zugleich Gott im Blick, der will, dass es jedem einzelnen Menschen gut geht. Diesem Gott des Lebens und der Liebe lege ich denjenigen, für den ich bete, besonders ans Herz. Ich bitte Gott darum, dass er ihm nahe ist - und dass der andere das spürt. Oder, um es in einem anderen Bild zu sagen: Ich lege durch mein Beten den anderen in Gottes Hände. Damit er ihn trägt und ihm Halt gibt, dass Gott ihn aufrichtet und mit neuer Lebenskraft und Lebensfreude erfüllt.

Natürlich ist das Gebet kein Ersatz dafür, dass ich einem anderen auch konkret durch Rat und Tat beistehe, so gut ich es vermag. Aber darüber hinaus ist das Fürbittgebet auch eine Weise, wie ich für den anderen da sein kann. Dadurch wird nicht nur die Verbindung zu diesem Mitmenschen vertieft, sondern auch die Verbindung von uns beiden zu Gott als der Quelle des Lebens.

Probieren Sie es doch mal aus! Ich kann es nur empfehlen.

Ihr
Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos

(Rundfunk-Morgenansprache von Christoph Maria Kohl, „Anstöße / Morgengruß“ in SWR 1 / SWR 4 am Donnerstag, 21.10.2021)

 

Impuls "Perspektivwechsel"

Hier auch zum Download

Es tut gut, die Welt mit den Augen der anderen und mit den Augen Jesu zu sehen.

Im Sommerurlaub vergangenes Jahr war ich in der Bretagne, wo Freunde ihr Ferienhaus haben. Besonders gern bin ich dort wandern gegangen, und zwar auf den „sentiers des douaniers“, den früheren Pfaden der Zöllner und der Schmuggler. Stundenlang kann man darauf die Küstenlinie entlang gehen, auf den Klippen, um Halbinseln herum, über Strände. Dabei hat mich als Hobby-Fotograf eines besonders fasziniert: Im Weitergehen sehe ich alles in einer immer wieder wechselnden Perspektive. Die Klippen, die Inseln draußen im Meer, die Landschaft auf der anderen Seite einer Bucht, die Ortschaften an der Küste – das Bild von ihnen ändert sich, wenn ich ein Stück weitergehe. Dann eröffnet sich eine neue, reizvolle Perspektive; ich sehe dasselbe von einer anderen Seite, es wirkt ganz anders – und ich entdecke daran wieder etwas Neues, Interessantes, Schönes. Das gibt nicht nur wunderbare Fotos – das ist auch ein Gleichnis für unser Leben.

Da ist es auch gut, wenn ich öfter mal die Perspektive wechsele. Wenn ich meinen bisherigen Standpunkt mal verlasse und einen Menschen aus einer anderen Richtung anschaue – dann kann mir bisher Unbekanntes an ihm auffallen, dann lerne ich ihn besser kennen. Wenn ich meine Sichtweise mal variiere, eine andere Brille aufsetze, durch die ich die anderen und das Geschehen um mich anschaue, dann sehe und verstehe ich mehr von der Welt und vom Leben. Perspektivwechsel ist immer gut! Es ist wie eine Entdeckungsreise.
Das erlebe ich zum Beispiel auch, wenn Kinder zu mir zum Beichtgespräch kommen. Wenn sie erzählen, was sie ihrer Meinung nach falsch gemacht haben, z.B. bei einem Streit mit Geschwistern oder einer Auseinandersetzung mit den Eltern. Dann frage ich sie manchmal: „Hast Du die Situation schon mal mit den Augen der anderen betrachtet?“ Das spielen wir dann gemeinsam durch – und meist wird dem Kind dabei klar, woran es da gehakt hat. Und das Verständnis für den anderen wächst. Denn jeder Perspektivwechsel eröffnet mir ein neues Stück Wirklichkeit und neue Farben des Lebens.

Ein grundlegender Perspektivwechsel ist für unser Leben aus dem Glauben besonders wichtig: Christ sein und aus dem Vertrauen auf Gott zu leben bedeutet, die Menschen, das Leben und die Welt immer mehr mit den Augen Jesu zu sehen. Dazu ist vor allem hilfreich, die vier Evangelien zu lesen. Dort erfahren wir, was Jesus gesagt und getan hat – und welche Lebensauffassung und welche Grundüberzeugungen er hatte. Dadurch lernen wir die Sichtweise Jesu kennen und vertiefen uns in sie. Je mehr jemand das tut, desto mehr wächst er oder sie nicht nur in die Sichtweise Jesu, sondern in ihn selbst hinein. Und dann können natürlich Meditation, Gebet und Gottesdienst das ihre dazu beitragen, weiter in Jesus Christus und dadurch in Gott hineinzuwachsen.

Während meines Studiums habe ich mich einmal zu ein paar Tagen des Innehaltens und der Besinnung in das Kloster Esthal (bei Neustadt an der Weinstraße) zurückgezogen. Am Ende der Tage war ich dann beim damaligen Spiritual der Schwestern beichten. Im Beichtgespräch hat er mir ein Gebet empfohlen, das er selbst immer wieder gebetet hat. Und dieses Gebet ist mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden. Es lautet:

„Gott, schenke mir die Gnade,
mich so zu sehen, wie du mich siehst.
Und schenke mir dann auch die Gnade,
die anderen so zu sehen, wie du sie siehst.“

Dieses Gebet kann ich Ihnen nur weiterempfehlen.


Und ich hoffe, dass sich Ihnen nun in der Ferien- und Urlaubszeit nicht nur andere Perspektiven des Lebens und unserer Welt als im Alltag erschließen, sondern auch, dass Sie sich und die anderen und das Leben immer tiefer mit den Augen Jesu und des Vaters im Himmel sehen – und dass das eine spannende Entdeckungsreise wird …


Das wünsche ich Ihnen von Herzen!

Ihr

Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos

 

Impuls "Diversität"

Hier auch zum Download

„Diversität“ - Was die Apostel Petrus und Paulus uns zum Leben in Vielfalt und Unterschiedlichkeit zu sagen haben.

„Diversität“ ist derzeit in der Medienszene und in der öffentlichen Diskussion en vogue. Im Fokus ist dabei weniger die Bio-Diversität (Arten-Vielfalt bei Tieren und Pflanzen) als vielmehr die Gender-Diversität (die Vielfalt bez. der Geschlechtsaspekte), die Vielfalt der Kulturen und die zunehmende Internationalität unserer Gesellschaft u. ä.. Bei der Bio-Diversität geht es darum, dass die naturgegebene Vielfalt nicht weiter vom Menschen beeinträchtigt wird, sondern erhalten bleibt. Bei anderen Arten von Diversität geht es darum, dass die Vielfalt der Prägungen, Orientierungen, Überzeugungen anerkannt, geachtet und gefördert wird.

Zum Teil wird dabei der Eindruck erweckt, dass Diversität an sich (über die vorgegebene Bio-Diversität hinaus) ein Ziel, eine neue Norm, ja fast Selbstzweck und ein absoluter Wert ist. Wenn aber etwas mehr oder weniger absolut gesetzt wird, dann bringt das die Gefahr mit sich, dass es dann ideologisch aufgeladen wird und dass man es sich mit dieser Thematik oder diesem Wert etwas zu einfach macht. Diese Gefahr sehe ich auch hier.

„Diversität“ ist ein Begriff, der zunächst eine Gegebenheit, ein vorfindliches Faktum beschreibt. Vom lateinischen Wort „diversus“ her bedeutet es: Vielfalt, Vielfältigkeit, Verschiedenheit, Unterschiedlichkeit - bis hin zu „entgegengesetzt - völlig verschieden - widersprechend - gegnerisch - feindlich“. In diesem Sinn „divers“ können Individuen, soziale Gruppen, Kulturen und Staaten usw. sein. Diversität ist ein deskriptiver Begriff, der einen Aspekt der Wirklichkeit beschreibt, wie sie ist oder wie sie sein kann.
 
Wenn aber die Menschen und die verschiedenen Gruppierungen in einer gewissen Vielfalt leben und unterschiedlich, ja gegensätzlich sind, dann ist das über das bloße Faktum hinaus vor allem eine Herausforderung, eine Aufgabe.


Je unterschiedlicher die Einzelnen und alle Teil-Welten sind und je größer von daher die Diversität im Ganzen ist, desto anspruchsvoller, ja schwieriger ist es, damit gut umzugehen. Denn für ein „gutes Leben für alle“ ist nicht nur der Freiraum notwendig, in dem die Einzelnen und Gruppierungen in ihrer Eigenart leben können und so toleriert werden, sondern zugleich auch das, was sie verbindet und zusammenhält, ein Zusammengehörigkeitsgefühl bis hin zu einem gewissen Grundwerte-Konsens - sonst „geht nichts mehr zusammen“ und fällt alles auseinander. Diese beiden Aspekte oder vielleicht auch gegenläufigen Kräfte, die Diversität bzw. der Freiraum für sie einerseits und der Zusammenhalt, das Verbindende andererseits, sind aufeinander angewiesen - eine gute Balance dieser beiden ist für das Gelingen des Lebens notwendig.

Und weil das so ist, ist das Leben in Diversität nicht an sich etwas automatisch Gutes. Es muss entsprechend gestaltet werden, damit es dadurch als bereichernd und hilfreich erfahren werden kann. Wenn die dazu notwendigen Voraussetzungen (bei den Einzelnen und in der Gesellschaft) nicht gegeben sind, dann kann Diversität Ängste, Abschottung und Abwehrreaktion bis hin zu Spaltung, Hass und Gewalt auf allen Ebenen hervorrufen - dafür gibt es genügend Beispiele, gerade auch in der Corona-Zeit.

Was eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Vielfalt und Verschiedenheit ihre positive Seite zeigen können, das können wir an den Aposteln Petrus und Paulus ablesen. Das ist mir aufgegangen, als wir in der vergangenen Woche ihren Gedenktag gefeiert haben, „Peter und Paul“ am 29. Juni.

Petrus und Paulus waren „sehr divers“, ganz unterschiedlich bis gegensätzlich in vielerlei Hinsicht - was Herkunft, Bildung, Lebensmilieu, Beruf, religiöse Prägung, Persönlichkeit, Überzeugungen usw. angeht. Beide waren sie „voller Feuer“, voller Leidenschaft in ihrem Einsatz für Jesus Christus, seine Frohe Botschaft und für die ersten Christengemeinden. Und dabei waren sie durchaus auch unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Meinung, was z.B. die Mission unter den Heiden angeht (s. Apg 10-15). Das spiegelt die „Apostelgeschichte“ (Apg) im Neuen Testament trefflich wider (es lohnt sich, diese Erfahrungsberichte und Glaubenszeugnisse aus der ersten Zeit der christlichen Gemeinden und der wachsenden Kirche einmal zu lesen!). Sicherlich hat es öfter „gekracht“ zwischen Petrus und Paulus. Beim sogenannten Apostelkonzil in Jerusalem, der ersten „Generalversammlung“ der jungen Kirche (Apg 15, 6-29), kam es dann zur offenen Auseinandersetzung zwischen den beiden und den zwei Parteien, die sich um sie gebildet hatten. Und es kam zu einer Einigung - die den Weg dazu geebnet hat, dass aus den ersten kleinen Gemeinden dann die Weltkirche werden konnte; also eine ganz entscheidende Weichenstellung! Danach haben Petrus und Paulus „an einem Strang gezogen“ - und jeder hat auf seine Weise dazu beigetragen, dass die Frohe Botschaft von Jesus Christus ihren Weg zu den Menschen finden konnte.
Und am Ende ihres Wirkens und Lebens gibt es nochmals etwas, was sie tief verbindet: Beide sind in Rom als Märtyrer gestorben, haben ihr Leben ganz für Jesus Christus hingegeben.


Die „Diversität“ von Petrus und Paulus, dass sie in verschiedener Hinsicht sehr unterschiedlich, ja gegensätzlich waren, hat sich also letztlich trotz mancher Auseinandersetzung nicht negativ ausgewirkt, sondern positiv, indem sie auf gemeinsamer Grundlage unterschiedliche Zielgruppen für Jesus Christus gewinnen konnten. Entscheidend dafür war, dass es bei aller Diversität doch auf tiefere Ebene etwas Gemeinsames, Verbindendes zwischen ihnen gab. Ihr Wirken und ihre Lebenshingabe im Martyrium spiegeln wider, dass sie sich in Jesus Christus wiederfinden und zusammenfinden konnten - dass sie für IHN und aus IHM gelebt haben; das ist der Punkt, der ihnen eine fundamentale Gemeinsamkeit gegeben hat, so dass sie von daher mit ihrer faktischen Diversität (auf anderer Ebene) gut umgehen und sie fruchtbar machen konnten. Daran wird deutlich: Die Voraussetzung dafür, dass Diversität sich positiv auswirken kann, ist, dass es auf tieferer Ebene etwas Verbindendes und Gemeinsames gibt. Das gilt auch heute, wenn es darum geht, wie wir mit „Diversität“ umgehen und sie gestalten. Je tiefer wir in dem verbunden sind, was uns „im Grunde“ gemeinsam ist, desto besser können wir mit der gegebenen Diversität umgehen, damit sie wirklich eine Bereicherung wird.

Dazu noch ein paar Anregungen - im Sinne einer „Wahrnehmungs-Übung“:

•    Wo erleben Sie „Diversität“? Bei welchen Menschen/gruppen und in welchen Lebensräumen?
•    Wie wirkt die erfahrende Verschiedenheit, Vielfalt, Gegensätzlichkeit auf Sie? Welche Gefühle und innere Regungen spüren Sie dabei?
•    Überlegen Sie einmal, wenn Sie Diversität in verschiedener Weise erleben, was „darunter“, auf tieferer Ebene, möglicherweise das Gemeinsame und Verbindende sein könnte, wo man sich zusammenfinden kann - und, wie von daher (wie bei Petrus und Paulus) die Unterschiedlichkeit positiv gestaltet werden kann?
•    Fallen Ihnen Menschen ein, denen es gelingt, sich auf die faktische Diversität gut einzustellen und gut mit ihr umzugehen? Haben Sie eine Ahnung davon, warum ihnen das gut gelingt?
•    Was ist hilfreich, was können Sie selbst dazu beitragen, dass das bei aller Diversität notwendige Zusammengehörigkeitsgefühl und der Grundwerte-Konsens wachsen?


Ich wünsche Ihnen, dass Sie in die gegebene Diversität eintauchen und sich so mit ihr beschäftigen, dass Sie sie dann als Chance und Bereicherung erleben können!

Ihr

Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos

 

Impuls "Leben in Einheit"

Hier auch zum Download

Leben in „Einheit“ - die Botschaft des Doms, auch für unser Zusammenleben heute

„UT UNUM SINT“ / „Damit sie eins seien“ (Joh 17,11.21.22 ) - das steht in Großbuchstaben oben auf dem Hauptportal unseres Doms. Der Dom ist Zeichen und Mahnmal der Einheit - der Einheit unter den Christen, in Europa und auch unter uns heute im alltäglichen Leben.

„Einheit“ ist ein zentrales Lebens-Thema. Leben in Einheit ist noch mehr als Leben in Frieden; Leben in Einheit ist der Gipfel von gutem Zusammenleben. Also ist sie für jede Art von Miteinander relevant, angefangen von Freundschaft, Ehe und Familie bis hin zur Einheit Deutschlands oder Europas oder der Welt. Das Gegenteil von Einheit sind Uneinigkeit, Spannungen und Konflikte,  Missverständnisse, Zerwürfnis, Auseinandertriften, „Hölle auf Erden“.

Einheit bedeutet nicht Uniformität, Gleichmacherei, Vereinheitlichung oder gar Gleichschaltung durch Dominanz oder gar Unterdrückung und Macht. Echte Einheit führt zugleich dazu, dass darin jede/r nicht nur geachtet wird, sondern dass durch diese Einheit und in ihr jede/r sich besser entfalten kann und mehr sie/er selbst wird. Das geht nur, wenn die Einheit von innen, vom Herzen kommt - sonst kann sie nicht die Herzen der anderen ergreifen, bewegen und in die Einheit hineinziehen. So ist sie etwas hoch Dynamisches, immer in Bewegung - und braucht stets neue Nahrung. 

Wenn sie so gelingt, ist die Erfahrung von Einheit ein echtes Highlight im Leben, etwas, was unendlich wohltuend sein kann. Ich hoffe, dass Sie eine solche Einheit schon erlebt haben, ein solches Eins-Sein, bei dem Sie spüren, dass Sie mit (einer/einem) anderen tief innerlich verbunden sind, sich aufeinander eingeschwungen erleben - als ein größeres Ganzes.

Ein Beispiel dafür aus meinem dienstlichen Alltag möchte ich Ihnen erzählen. Vor fast genau einem Jahr sind wir zu viert nach Hildesheim gefahren: die Speyerer Dombaumeisterin, der Domkapellmeister, der Domkantor und ich. Wir müssen im Speyerer Dom ein Podest für den Domchor bauen. Dafür gibt es in Hildesheim eine sehr gute Lösung, die wollten wir uns anschauen.

Auf der Hinfahrt haben wir überlegt, worauf es bei diesem Projekt besonders ankommt. Und schon das war ein Zusammentragen und ein Austausch, bei dem es ohne die geringste Kommunikationsstörung nur so floss: Jeder hat seine Erfahrungen und Kompetenzen eingebracht. Der eine Gedanke ergab den nächsten. Jeder hat aufmerksam auf die anderen gehört, die Botschaft des einen kam beim anderen wohlverstanden an - jeder hat aufgegriffen und weitergeführt, was der andere gesagt hat. So haben wir uns die Bälle zugespielt. Und so haben wir ohne Mühe alles Wichtige zusammen gehabt. Und das Ganze war eine tolle Erfahrung von wohltuendem Miteinander. So, wie es eben sein kann, wenn es fließt, wenn der Lebensstrom ungehindert fließen kann. 

Und so ging es in Hildesheim selbst weiter. Beim Mittagessen das gleiche herzliche Verstehen mit den dortigen Kollegen. Als wir das Chorpodest im Dom besichtigt haben, haben wir Vier uns angeschaut - und schon war klar, was wir von dort an Ideen übernehmen können. Und nach dem Gespräch beim Abendessen war das Speyerer Chorpodest in unserer Vorstellung fertig, weil die Beobachtungen und Ideen von allen Vieren wunderbar zusammenflossen. Weil wir auf einer Wellenlänge waren und in gemeinsamer Schwingung. 

Eine wunderbare Erfahrung. Auf der Rückfahrt im Zug kam ich mir vor, als ob ich auf „Wolke sieben“ schwebte. Ich hatte zwei Tage erlebt, die sehr beglückend waren, fast himmlisch schön. Da stimmte alles, da kam alles wunderbar zusammen. So kann es gehen, wenn der Lebensstrom im Miteinander ungehindert fließen kann. Weil dabei keine Eitelkeit oder Besserwisserei im Spiel war, keine Rechthaberei oder Übertrumpfen. Weil jeder den anderen geachtet hat und auf ihn eingegangen ist. Wo das gelingt, können wir uns ein wenig Himmel auf Erden bereiten. Auch im Alltag.

Das war für mich eine Erfahrung von Einheit. Wir haben uns aufeinander eingestellt, ja eingeschwungen - oder muss ich vielleicht besser sagen: Wir haben uns gemeinsam auf den Heiligen Geist eingeschwungen. Denn es verbindet uns ein gemeinsamer Geist; wir sind „auf gleicher Wellenlänge“, nämlich auf der des Heiligen Geistes. Und deshalb konnte es dann unter uns nur so fließen - menschlich sehr wohltuend und in der Sache sehr ertragreich. Seitdem ist „Es fließt!“ bei uns ein geflügeltes Wort - wenn wir es wieder einmal so intensiv erfahren, und das kommt öfter vor. So geht Einheit, dadurch, dass wir „eines Geistes sind“, uns vom gleichen Heiligen Geist erfüllen und beflügeln lassen.

Das Urmodell und die Quelle aller Einheit stellt uns der heutige Dreifaltigkeits-Sonntag vor Augen, die Einheit zwischen Gott-Vater und -Sohn im Heiligen Geist. Dort „fließt es“ zwischen Vater und Sohn unaufhörlich und ohne die geringste Beeinträchtigung. Jesus betet, wie das Johannesevangelium überliefert, zu seinem und unserem Vater: 
„Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein …, damit sie eins sind, wie wir eins sind, ich in ihnen und du in mir. So sollen sie vollendet sein in der Einheit.“ (Joh 17,21-22) Jesus möchte uns also Anteil geben an der Einheit, die er in Reinform er-lebt. Einheit „geht“, indem wir uns hineinziehen lassen in die Einheit im dreifaltigen Gott und uns davon inspirieren lassen.

Jesus selbst er-lebt und „kultviert“ diese Einheit auf verschiedene Weise. Er lebt in der inneren Verbindung mit dem Vater. Er spürt sich als vom Vater gesandt, der hinter ihm steht: „Du bist mein geliebter Sohn, …“ (Mk 1,11 u.ö.) Jesus zieht sich zum Gebet zurück, um ganz beim Vater zu sein und sich in ihn hinein zu vertiefen. So ist er auch ganz beseelt vom Geist des Vaters. Das Vertrauen auf ihn ist so groß, dass er sich durchringen kann, seinen Weg konsequent bis zum Kreuz zu gehen. Auch der Moment der Gottverlassenheit, den er dort durchleidet, reißt ihn aber nicht aus der Einheit mit dem Vater heraus - denn die ist stärker als alles andere. Und der Vater lässt ihn dieses Eins-Sein als Auferstandener und in den Himmel Erhöhten nochmals verdichtet erleben. Der Strom des Lebens und der Liebe fließt seitdem nicht nur ohne jegliches Hindernis zwischen Vater und Sohn; vielmehr zieht uns der Heilige Geist seitdem immer neu und sehr erfinderisch in diese Einheit hinein - damit auch zu uns hin und unter uns der Strom des Lebens und der Liebe von Gott her möglichst gut fließen kann. So „geht“ Einheit, die ganz konkret in unserem Leben spürbar ist - und die dann im Himmel von Gott vollendet wird.

Mein Vorschlag: 
•    Nehmen Sie sich einmal ein wenig Zeit. Schauen Sie in Ihrem Inneren und in Ihrem Leben einmal nach, wo und wann Sie schon einmal so etwas wie eine tiefe Einheit (mit …) erlebt haben; dass es so richtig fließt, dass Sie sich wie tief zusammengeschwungen (mit …) gespürt haben – und was das ihnen an Lebensqualität geschenkt hat.
•    Kennen Sie (einen) Menschen, der eine besondere Gabe darin hat, andere gut „zusammenzubringen“; Einigkeit zu fördern; durch sein Wesen und seine Äußerungen einen Raum zu eröffnen, wo etwas zusammengehen kann?
•    Was bedeutet für Sie „Einheit“, „Eins-Sein“, „Einigkeit“ pflegen?
•    Vollziehen Sie einmal das Gebet Jesu zum Vater nach, in dem er von seinem Eins-Sein mit dem Vater und der Einheit, die er uns allen schenken möchte (Joh 17, 1-26), spricht. Am besten dadurch, dass Sie einen oder zwei Verse herausgreifen und auf Ihren Atemrhythmus beten, sie innerlich wiederholen und sich dadurch meditierend hineinvertiefen. Das kann viel in Ihnen aus-lösen… 

Je mehr wir uns in die Einheit in Gott hineinziehen lassen, desto mehr kann jede/r von uns und können wir miteinander eins werden - und so können wir Himmlisches auf Erden erleben. Nichts weniger möchte Gott uns schenken!!!

Und solche Erfahrungen wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen!

Ihr
Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos

 

IMPULS 25

zum Sonntag, 24. Januar 2021

Hier auch zum Download

Geduld – einen langen Atem haben – langmütig sein

In der derzeitigen Corona-Situation brauchen wir noch länger Geduld: Der Lockdown geht weiter; es gibt wegen der neuen, hochansteckenden Mutationen sogar noch Verschärfungen; es wird noch einige Zeit dauern, bis durch eine fast flächendeckende Impfung manches wieder normaler werden kann. Viele Mitmenschen kommen damit innerlich nicht gut klar und sind zunehmend angespannt.

Aber mit der notwendigen Geduld ist das so eine Sache. Man kann sie nicht „machen“, auf Knopfdruck herbeizaubern. „Lieber Gott, schenke mir ein wenig Geduld, aber schnell!“ lautet ein scherzhaftes Stoßgebet, das das Dilemma deutlich macht. Sie kennen bestimmt Menschen, von denen Sie sagen können „Der ist ein ungeduldiger Mensch.“ oder „Sie ist ein geduldiger Mensch.“ Geduld oder Ungeduld kann einen Menschen (auch ganz unabhängig von der Corona-Situation) sehr prägen. Denn es geht hierbei um eine Grundhaltung, die einem selbst und den anderen das Leben ganz schön erschweren oder leichter machen kann.

Wer ungeduldig ist, der kann nicht in Ruhe auf jemanden oder etwas warten; bei dem muss alles schnell gehen  und wenn nicht, kommt er in Unruhe; der ist enttäuscht, wenn etwas länger dauert (als er sich gedacht hat!); der hält die Spannung nicht aus, wenn etwas Erhofftes sich nicht so bald einstellt; dem geht dann schnell die Luft aus. Ungeduld ist auch eine Folge von festen eigenen Erwartungen, wie (schnell) etwas gehen muss und was meiner Meinung nach (bald) geschehen „muss“.

Umgekehrt bedeutet Geduld haben / geduldig sein: Es muss nicht so (schnell) gehen, wie ich es gerne hätte. Ich lasse mir, dem anderen und erhofften Entwicklungen Zeit. Ich dränge nicht. Ich mache mir und anderen keinen zeitlichen Druck. Ich kann auch manches Unliebsame und Anspannungen eine Zeitlang ertragen. Ich gebe nicht so schnell auf, sondern habe einen langen Atem und Durchhalte-Kraft. Und wenn es anders kommt als gedacht, kann ich mich darauf einstellen und es so annehmen, nicht nur ertragen.

Eine solche Grundhaltung hat Voraussetzungen, die ihr Wachstum möglich machen und fördern.

Dazu gehört die Erkenntnis: Ich bin darauf angewiesen, dass die Mitmenschen mit mir  Geduld haben – wo ich für etwas länger brauche, wenn ich mich verspäte, wenn ich vielleicht insgesamt langsamer bin bei manchem, wenn sie sich mit einer Eigenheit von mir schwer tun, die sich einfach nicht ändern will … Wenn die anderen dabei Geduld haben mit mir, wenn sie sich verständnisvoll auf mich einstellen, dann geht es mir besser und ihnen mit mir. Zugespitzt ausgedrückt: Ich lebe auch von der Geduld der anderen mit mir. Wenn mir das bewusst ist, kann es mir leichter fallen, gleichsam als Antwort darauf auch selbst mehr Geduld zu entwickeln. Die mir geschenkte Geduld kann mich geduldiger machen.

Ein Zweites: Geduld als Grundhaltung lebt sich leichter, wenn sie eingebettet ist in den größeren Horizont von Zuversicht und Hoffnung. Gelassene Menschen können eher etwas „sein lassen“ und „kommen lassen“, ohne es beschleunigen zu müssen oder in Anspannung zu geraten. Und wer sein Leben im „Horizont der Ewigkeit“ lebt und gestaltet; wer sich dessen bewusst ist, worauf es im Leben wirklich ankommt; wer die Endlichkeit des irdischen Lebens annimmt, auf das Leben nach dem Tod hofft und für sich deshalb so manches relativiert (weil die Zeit als solche relativ wird!); wer aus diesem Grund nicht alles, was möglich ist, aus dem Leben hier und heute rausholen oder in es reinpacken muss; wer keine Angst hat, zu kurz zu kommen oder etwas zu verpassen – der kann gut und gerne ein Mensch werden, der von wohltuender Geduld geprägt ist.

Eine dritte Wachstumsvoraussetzung für Geduld ist die Erfahrung, dass Gott mit uns, mit mir selbst unendlich große Geduld hat, und dass das mein und unser Glück ist! Schon im Alten Testament kommt immer wieder heraus, dass Gott Geduld mit seinem oft störrischen Volk hat, erst recht dann, wenn es andere Wege geht als die, die Gott ihm zu seinem Glück gebahnt hat, wenn es sich von Gott als der Quelle seines Lebens entfernt. Dann verliert Gott nicht die Geduld mit ihm, sondern bleibt ihm treu, „rennt ihm nach“, um es wieder auf die Spuren des Lebens zu führen, immer wieder. Diese Erfahrungen bringt u.a. der Psalm 86 ins Wort: „Du aber, Herr, bist ein barmherziger und gnädiger Gott, du bist langmütig, reich an Huld und Treue“ (Ps 86,15). „Langmut“ ist eine Wesenseigenschaft Gottes; es ist noch mehr als Geduld – der Mut, etwas in Ruhe zu erwarten und dabei aber „dran zu bleiben“. So wartet Gott darauf, dass sein Volk und auch jede/r von uns sich immer wieder besinnt und in Richtung „Quelle des Lebens“ umkehrt, und hilft uns dabei. Auf gleicher Linie liegt, dass Jesus mit seinen zwölft Aposteln, die so langsam kapieren und immer wieder danebentappen, auch eine unglaubliche Geduld hat und an ihnen festhält und sie fördert - wodurch sie dann tatsächlich die Säulen der Kirche werden.

Wenn Gott so ist, wenn wir auf den langmütigen Gott vertrauen, dann kann er uns eine gewisse Sorglosigkeit schenken. In der Bergpredigt ermutigt Jesus: „Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn nach alldem streben die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben“ (Mt 6, 31-33). Wenn das so ist, wenn Gott so ist, dann kann das eine große Gelassenheit mit sich bringen.

Und so können sich unsere Sorgen und unsere Ungeduld „relativieren“ (darin steckt das lateinische Wort „relatio“ = Beziehung; „relativieren“ heißt wörtlich genommen „mit etwas anderem in eine Beziehung bringen und dadurch in seiner Gültigkeit einschränken“): Wenn wir sie in unsere Beziehung zu Gott einbringen, hineinstellen, dann kann er uns Anteil geben an seiner göttlichen Geduld – bis dahin, dass dann jemand über einen sagen kann: „Der hat ja eine himmlische Geduld mit …“.

Dass Sie in der Corona-Zeit und darüber hinaus immer mehr von dieser „himmlischen Geduld“ erfüllt werden,

das wünsche ich Ihnen von Herzen.

Ihr

Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos

 

IMPULS 22

zum Jahreswechsel 2020 - 2021

Hier auch zum Download

Das Jahr 2020 geht zu Ende - als ein Jahr, das stark gezeichnet ist vom CoVid-19-Virus und seinen Auswirkungen in unserem Alltag und weltweit. Für manche war es das außergewöhnlichste und anstrengendste in ihrer Lebensgeschichte. „Abgesagt“ ist das meistbenutze Wort in meinem (elektronischen) Terminkalender, das vor vielen, vielen geplanten dienstlichen und privaten Terminen steht. Unser Alltag, unsere Lebensgewohnheiten haben sich sehr verändert. Viele leiden darunter. Und es ist ungewiss, wann und inwieweit wir wieder zur früher selbstverständlichen „Normalität“ zurückehren können. Auch das Jahr 2021 wird in verschiedener Hinsicht eine große Herausforderung werden und noch viel innere Kraft kosten.

Deshalb ist zu diesem Jahreswechsel eines besonders wichtig: Dass es gelingt, das alte Jahr gut abzuschließen, seinen Frieden mit ihm zu schließen, damit wir nicht mit „Altlasten“ in das neue Jahr gehen, die unser Herz beschweren, die uns lähmen und blockieren können, die zumindest aber unnötig Kräfte binden, die wir gut für unsere Lebensaktivitäten im neuen Jahr brauchen können.

Mein Vorschlag: Nehmen Sie sich in diesen Tagen rund um den Jahreswechsel Zeit, um auf das zu Ende gehende Jahr zurückzuschauen - und vor allem, um dabei in sich hinein zu spüren, was davon in Ihnen steckt und Ihrem Empfinden, Ihrem Inneren einen Stempel aufgedrückt hat.

Das wird dann zu einer fruchtbaren „geistlichen Übung“, wenn Sie dieses Zurück- und In-sich-Schauen mit der Bitte beginnen, dass Gott dabei Ihnen die Augen öffnet für das, worauf es bei diesem Rückblick ankommt - vor allem dafür, wo er Ihnen mit seiner Nähe, seiner Führung und seinem Wirken beigestanden hat. Das kann so weit gehen, dass Sie dabei besser „lernen“, Ihr Leben und die Welt mit den Augen Gottes, mit dem Blick des Herzens Jesu zu sehen - erst recht dann erscheint alles in einem anderen, hellen Licht. Der Durchblick auf Gott und sein Wirken hin eröffnet uns die tiefsten Lebensperspektiven und die eigentliche Lebensqualität.

Wenn Sie sich einen solchen Jahresrückblick gönnen, können die folgenden Leitfragen hilfreich sein:

Wenn ich meinen Kalender durchgehe: 
•    Was konkret war für mich anders als geplant? 
•    Was an Wichtigem fiel aus? 
•    Was musste ich anders regeln? 
•    Wie hat das für mich das Jahr geprägt? 
•    Wie hat das auf mich innerlich gewirkt?

Wie konnte ich äußerlich und innerlich mit dem umgehen, was so anders kam als geplant oder erhofft? 
•    Lässt mich das enttäuscht - mit einem Seufzer - ratlos - niedergeschlagen - wie gelähmt - deprimiert - verzweifelt - … zurück? 
•    Hat mich die unliebsame äußere Situation innerlich im Griff? 
•    Oder habe ich genügend inneren Abstand zu ihr, so dass ich frei(er) mit ihr umgehen kann? 
•    Konnte ich mich auf die neuen, ungewollten Umstände innerlich gut einstellen, so dass ich das Beste aus und in der Situation machen konnte? Wenn nicht: Warum nicht?

Was ist meine Grundstimmung zum Jahreswechsel?
•    Welche „inneren Regungen“ (ein Ausdruck von Ignatius von Loyola; er meint damit das, was tiefer geht als Gefühle, also innere Grundbewegungen, die uns und unser Empfinden, Denken und Handeln von unserer inneren Mitte her faktisch prägen und bestimmen) spüre ich in mir?

Das, was sich dabei alles zeigt, kann jede und jeder dann Gott übergeben, entweder „wie fröhlich singende Vögel zum Himmel steigen lassen“ oder IHM „wie schwer lastende Steine an den Fuß des Kreuzes hinknallen“ - Stoßgebete, die für alles Raum haben und IHM alles hinhalten, was in unserem Herzen drin ist. Auch das kann sehr ent-lastend und befreiend wirken.

Um nicht mit unnötigen Altlasten in das neue Jahr zu gehen, kann eventuell sinnvoll sein, ganz bewusst durch Trauer und Versöhnung hindurch seinen Frieden zu schließen mit dem, wie das Jahr war - und mit mir, wie es mir damit ging; wo ich nicht lebensförderlich mit dem Gegebenen umgehen konnte; mit dem, was mir in dieser Ausnahmesituation nicht gut gelungen ist - und mit mir selbst, der ich durch dieses Jahr vielleicht auch anders geworden bin, als ich wollte. Wenn dabei eigenes Ungenügen, Schwäche und Versagen mit im Spiel war und ist, dann ist das keine Tragik - sondern kann für uns im Gegenteil ein guter Anlass dafür sein, dass wir vor Gott zu dem stehen, wie wir nun mal sind, und dass wir uns genau dort, wo wir seine Hilfe und heilende Kraft am nötigsten haben, von ihm anrühren und innerlich verwandeln lassen. Der bedingungslos liebende und verzeihende Gott ist uns gegenüber immer gnädiger und wohlwollender, als wir selbst es zu uns sind …


Wer vor dem gütigen und heilsamen Blick Gottes das zu Ende gehende Jahr und sich selbst so annehmen kann, wie es nun mal war und wie er/sie nun mal jetzt dasteht, der wird innerlich frei für alle Lebenschancen, die das neue Jahr uns bietet, egal wie die äußeren Umstände sind: Gott spielt uns 365 Tage lang sein Leben zu, damit wir auf unseren Alltagswegen dem „Leben in Fülle“ (Joh 10, 10) weiter entgegengehen, ja in es hineingehen.

Das Sie und Ihre Lieben das so erleben können,
das wünsche ich Ihnen von Herzen!


Ihr 
Dr. Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos

Impuls 19

zum Sonntag, 6. Dezember 2020 (Zweiter Advents-Sonntag)

hier auch zum Download

Der Advent ist eine Zeit des Wartens. Die Kinder „warten aufs Christkind“ und auf das, was es ihnen mitbringt. Die Familien sind - in normalen Zeiten ohne das Virus - in froher Erwartung der Festtage, an denen sie sich treffen und frohe Gemeinschaft erleben können. Alle sehnen sich nach einer Zeit, in der man zur Ruhe kommen kann, einer Zeit des äußeren und inneren Friedens. Die Christen warten auf Jesus Christus, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern und der als „Gott (, der) rettet“ (so die Bedeutung von „Jesus“ im Hebräischen) uns und unser Leben verwandeln will in sein „Leben in Fülle“ (Joh 10,10) und der deshalb immer wieder neu auf uns zukommt.

Dieses Jahr warten wir auch ganz konkret auf einen Impfstoff gegen die Corona-Virus-Infektion, der für die ganze Welt entscheidend wichtig ist.

Es gibt ganz verschiedene Arten des Wartens: 
•    das widerwillige, leere Warten auf den verspäteten Zug;
•    das bange Warten auf ein ganz wichtiges Untersuchungsergebnis beim Arzt;
•    das ängstliche Bibbern vor einer Prüfung;
•    wenn Eltern „in freudiger Erwartung“ sind, weil sie ein Kind bekommen;
•    das sehnsüchtige Warten auf einen geliebten Menschen (wunderbar beschrieben in der Bibel im Hohelied der Liebe!);
•    das Herbeisehnen der Rettung aus einer Notlage.

Ein Unterschied dabei ist besonders wichtig: Es gibt ein passives Warten, das mir quasi verordnet ist und mich zum Ab-warten zwingt, obwohl ich es gar nicht will. Das kann Kraft kosten oder gar lähmen. Und es gibt ein aktives Warten, bei dem ich von mir aus etwas oder jemanden er-warte, etwas herbeiwünsche. In dieser frohen Erwartung richte ich mich auf etwas Schönes oder jemand für mich Wichtigen aus und ich werde dafür offen und empfangsbereit. Ich spüre meine Sehnsucht, und meine Vorfreude steigt. Das kann Lebensmut und neue Kräfte wecken.

Im Advent geht es um dieses aktive Warten. Das spiegeln viele Adventslieder (im Gesangbuch „Gotteslob“ Nr. 218 - 234 und 763-766) wider. Ihre Bilder stellen uns vor Augen, was wir von Gott her zu erwarten haben, was er uns schenken möchte, was er aus jeder und jedem von uns machen möchte. Und die Adventslieder laden uns ein, ihn innerlich aktiv zu erwarten, uns auf den Rettergott hin auszustrecken: „O Gott mit uns, wir harren dein; komm, tritt in unsre Mitte ein.“ (Gotteslob 763 „O komm, o komm, Emmanuel“, 3. Strophe). Diese Grundhaltung öffnet uns für die Quelle des Lebens - und für die konkreten Lebenschancen und Lebensmöglichkeiten, die Gott uns jeden Tag neu zuspielt und in denen er auf uns zukommt. Wer dafür offen und empfänglich ist, der kann in seinem Leben Erfüllung finden.

Von daher kann es nur gut sein, bei sich selbst nachzuspüren, 
•    wo welche Art von „Warten“ in meinem Leben eine Rolle spielt,
•    wo passives und aktives Warten in meinem Alltag vorkommen,
•    ob ich meine Sehnsucht spüre, die mich auf Lebenswichtiges ausrichtet,
•    ob ich ein Mensch bin, der „in froher Erwartung“ lebt und sich in dieser Grundhaltung auf das ausstreckt, was seinem Leben Erfüllung geben kann.

Und ganz entscheidend ist dabei, ob ich in diesem meinem Warten auch Erwartungen an Gott habe oder nicht. Anthony de Mello, indischer Jesuit und spiritueller Lehrer, hat das treffend in Worte gefasst (in: Anthony de Mello, Von Gott berührt. Die Kraft des Gebetes. Herder - Freiburg, Basel, Wien 1992, S. 14-15). Was er Menschen, die Exerzitien machen,  als Grundhaltung empfiehlt, gilt grundsätzlich für alle, die aus dem Vertrauen auf Gott leben möchten:

„Worauf es konkret ankommt: Eine Haltung.

Für ihr Gebet morgen und in den nächsten Tagen möchte ich Ihnen eine Haltung und eine Übung empfehlen. Die Haltung ist die einer hochgespannten Erwartung. Der heilige Johannes vom Kreuz sagt, jemand erhalte so viel von Gott, wie er von ihm erwarte. Wenn Sie nur wenig erwarten, werde Sie gewöhnlich auch nur wenig erhalten. Wenn Sie viel erwarten, werden Sie viel erhalten. Brauchen Sie in Ihrem Leben ein Wunder der Gnade? Dann müssen Sie fest damit rechnen, dass ein Wunder geschieht. Wie viele Wunder haben sie schon ganz persönlich erlebt? Keine? Das liegt nur daran, dass Sie keine erwartet haben. Gott lässt Sie nie im Stich, wenn Sie große Hoffnungen auf ihn setzen; vielleicht lässt er Sie warten, vielleicht kommt er aber auch sofort; oder er kommt plötzlich und unverhofft wie – um mit Jesus zu sprechen – „ein Dieb in der Nacht“. Aber kommen wird er sicher, wenn Sie damit rechnen, dass er kommt.“


Für die weitere Adventszeit wünsche ich Ihnen,
dass Sie in diese Grundhaltung immer tiefer hineinwachsen 
und dass Sie so bestens dafür bereit sind, 
dass Gott immer neu zu Ihnen kommen und Sie beschenken und erfüllen kann.


Ihr
Christoph Maria Kohl
Domdekan & Domkustos